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Zwei wesentliche Züge des Standarddeutschen bzw. des Standardfranzösischen sind die sog. Auslautverhärtung (besser: Obstruenten-Fortisierung, kurz: Fortisierung) im Deutschen und die sog. Nasalalternation im Französischen. Beide werden in der vorliegenden Abhandlung im Rahmen der Integrativen Phonologie analysiert, einer neueren Zwei-Ebenen-Phonologie. Schon in einem Teil der Literatur wird die Nasalalternation als Sonderfall einer allgemeineren Konsonantenalternation angesehen (Problem der sog. unstabilen Konsonanten). Die Fortisierung im Deutschen wird demgemäß auch in der vorliegenden Abhandlung nicht einfach zur Nasalalternation, sondern allgemeiner zur Konsonantenalternation im Französischen in Beziehung gesetzt.
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Für das Deutsche wird zunächst begründet, warum Fortisierung am Wortende getrennt werden muß von sonstiger Fortisierung, bei der es sich — in der Literatur noch nicht erkannt — um Fortisierung vor Konsonant handelt. Für Fortisierung am Wortende wird gezeigt, daß sie lediglich eines von mehreren Mitteln ist, phonetische Wörter zu identifizieren. Demgegenüber wird Fortisierung vor Konsonant durch den Fortisierungssatz (Obstruent Tensing Theorem) erfaßt. Dieser Satz beschreibt Wechselbeziehungen zwischen zwei Funktionen: phonologische Verbindung und phonetische Verbindung, sowie der Variantenrelation. Entscheidend ist dabei die Tatsache, daß eine phonetische Variante einer gegebenen phonologischen Folge auf eine Fortis oder eine Lenis endet in Abhängigkeit davon, womit auf der phonologischen Ebene eine unmittelbar nachfolgende Folge anfängt (eine Folge also, mit der die gegebene Folge phonologisch verbunden ist): Die phonetische Variante endet auf eine Fortis, wenn die zweite phonologische Folge mit einem Konsonanten beginnt, und endet auf eine Lenis, wenn die zweite phonologische Folge mit einem Vokal anfängt. Kurz, das Auftreten eines phonetischen Lautes auf der phonetischen Ebene kann bedingt sein durch die phonologische Umgebung eines entsprechenden phonologischen Lautes auf der phonologischen Ebene; eine solche phonologische Bedingtheit phonetischer Laute läßt sich im Rahmen einer Ein-Ebenen-Phonologie unmöglich formulieren. |
Als nächstes wird begründet, warum im Französischen bei der Nasalalternation, allgemeiner: der Konsonantenalternation, ein ganz analoger Fall vorliegt wie bei der Fortisierung im Deutschen. Wiederum dient die Nasalalternation einerseits zur Identifizierung phonetischer Wörter, was jedoch undiskutiert bleibt. Es wird der Satz der Nasalalternation (Nasal Alternation Theorem) formuliert, und anschließend der allgemeinere Satz der Konsonantenalternation (Consonant Alternation Theorem), um das Auftreten oder Fehlen von phonetischen Konsonanten am Ende einer phonetischen Variante einer gegebenen phonologischen Folge zu erfassen: Ein zu erwartender phonetischer Konsonant erscheint nicht, wenn sich die gegebene phonologische Folge mit einer zweiten phonologisch verbindet, die ihrerseits mit einem Konsonanten beginnt; der phonetische Konsonant erscheint, wenn die zweite Folge mit einem Vokal beginnt. Jedoch müssen anders als im Deutschen Liaison-Phänomene berücksichtigt werden. Für das Französische wie schon für das Deutsche erfordert die Rechtfertigung der Sätze, das weitere phonologische Grundfragen der Sprache geklärt werden, was wiederum mit den Mitteln erfolgt, die in einer Zwei-Ebenen-Phonologie zur Verfügung stehen.
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Alle Sätze, der Fortisierungssatz und der Satz der Nasalalternation bzw. der Konsonantenalternation, werden gegen verschiedene Einwände erfolgreich verteidigt. Damit liefert die vorliegende Abhandlung Lösungen für zwei grundlegende, immer wieder erörterte Probleme der deutschen bzw. französischen Phonologie, Lösungen, die Gebrauch machen von den Mitteln, die eine Zwei-Ebenen- im Unterschied zu einer Ein-Ebenen-Phonologie bereitstellt.
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Darüber hinaus wird gezeigt, offenbar zum ersten Mal: Obwohl es sich bei der Fortisierung im Deutschen und der Konsonantenalternation im Französischen, speziell der Nasalalternation, um zwei Erscheinungen handelt, die historisch gesehen nichts miteinander zu tun haben und scheinbar unverbunden nebeneinander stehen, liegt doch beiden ein und derselbe phonologisch-phonetische Mechanismus zugrunde, und zwar in einem solchen Maße, daß die beiden Sätze für das Französische und der Fortisierungssatz exakt dieselbe logische Struktur aufweisen (mit einer einzigen Einschränkung), wobei jeder Satz aus jedem anderen gewonnen werden kann, indem man sprachwissenschaftliche Termini austauscht, die sich in ihrem theoretischen Status nicht oder kaum unterscheiden.
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Zusammengefaßt: Eine Analyse im Rahmen einer strengen Ein-Ebenen-Phonologie existiert gegenwärtig anscheinend weder für die Fortisierung im Deutschen noch für die Nasal- oder Konsonantenalternation im Französischen. Die hier vorgelegte Analyse darf Folgendes für sich in Anspruch nehmen:
- In beiden Sprachen werden alle relevanten Phänomene vollständig abgedeckt.
- In beiden Sprachen würde sich die Analyse bruchlos in eine weiter ausgebaute Theorie des Lautsystems einfügen.
- Die Analyse zeigt, daß und wie ein und derselbe phonologisch-phonetische Mechanismus in beiden Sprachen funktioniert, ein Mechanismus, der sprachübergreifend auch in anderen Sprachen am Werk sein könnte.
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Wesentlich für die Analyse sind die Mittel, welche die Integrative Phonologie bereitstellt, eine 'deklarative' Zwei-Ebenen-Phonologie, womit solche Phonologien stark gestützt werden.
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